Selbsthilfetechniken

Behandlungsanleitung gegen Impulskontrollstörungen

Einleitung

Diese hier dargestellten Selbsthilfetechniken richten sich an Personen, die an sogenannten körperbezogenen Impulskontrollstörungen („body-focused repetitive behaviors“, BFRBs) leiden. Die unten dargestellten Techniken wurden wissenschaftlich als wirksam bestätigt (Farhat et al., 2020; Moritz & Rufer, 2011; Moritz et al., 2011; Moritz et al., 2021; Sarris et al., 2012). Diese Techniken zeigen wir auch noch einmal in einem Video.

Wichtig: Bislang wurde noch kein Medikament für die Behandlung von BFRBs zugelassen und die wenigen vorhandenen Studien (Farhat et al., 2020) kommen zu uneinheitlichen Ergebnissen, sodass die hier dargestellten Techniken als sogenannter „Goldstandard“ gelten können.

Zu den körperbezogenen Impulskontrollstörungen zählt das zwanghafte Ausreißen der eigenen Haare, z.B. am Kopf, im Schambereich oder an den Wimpern. Dies wird auch als Trichotillomanie bezeichnet (Abbildung 1a).

Das Beißen der eigenen Lippen, Zunge oder Mundschleimhaut ist ebenfalls eine häufige Impulskontrollstörung.

Viele Menschen neigen zudem zum Knibbeln, auch Skin Picking genannt, bei dem an Pickeln oder Hautunreinheiten gepult wird (Abbildung 1b).

Auch Nägelkauen und das Abbeißen der Nagelhaut werden hierzu gerechnet (Abbildung 1c).

Die Fotografen dieser und anderer Fotos werden auf der letzten Seite gewürdigt.

Impulskontrollstörungen können fokussiert erfolgen, also absichtlich herbeigeführt werden. Häufige Auslöser sind das Jucken der Haut, ein graues oder angeblich störendes Haar oder ein eingerissener Nagel. Bei vielen Betroffenen hat sich das Verhalten allerdings bereits verselbstständigt und läuft automatisch ab. Die Handlung wird dann ohne bewusste Wahrnehmung ausgeführt.

Impulskontrollstörungen können zu einer Reihe von weiteren psychischen und körperlichen Problemen führen, indem sich Betroffene aus Scham vor z.B. kahlen Kopfstellen oder abgekauten Nägeln von anderen Menschen zurückziehen oder bestimmte Situationen – z.B. Händeschütteln – vermeiden. Gerade beim Knibbeln der Haut können Narben entstehen. Beim Nägelkauen kann es in bestimmten Fällen auch zu Entzündungen kommen, die das Nagelwachstum beeinträchtigen. Beim Haareausreißen können sich Störungen des Haarwachstums einstellen. Das Wissen um diese möglichen Folgen reicht bei vielen Betroffenen aber häufig nicht aus, um die lästige Angewohnheit ablegen zu können. Viele der Betroffenen fühlen sich ihrem Verhalten geradezu ausgeliefert.

In dieser Anleitung werden wir Ihnen drei Techniken vorstellen, mit deren Hilfe Sie Impulskontrollstörungen reduzieren können. Wir werden die Techniken nacheinander präsentieren. Mit welcher Technik Sie später anfangen, bleibt Ihnen überlassen. Starten Sie am besten mit der Technik, die Ihnen spontan am meisten zusagt. In einer Studie war der Erfolg am größten, wenn mit der Entkopplungsmethode (s.u.) begonnen wurde. Sie können die Techniken einzeln anwenden oder kombinieren. Schauen Sie, was bei Ihnen am erfolgreichsten ist.

Wir werden bei der Veranschaulichung der Techniken vor allem auf das Haareausreißen und Nägelkauen eingehen. Die Techniken können allerdings sehr leicht – teilweise mit ein wenig Fantasie – auf andere unerwünschte Verhaltensweisen übertragen werden.

Bevor wir die drei Techniken beschreiben, ist es wichtig, dass Sie sich einen Überblick darüber verschaffen, zu welchen Zeiten und in welchen Situationen Sie das Verhalten ausüben.

Beobachten/Protokollieren

Die meisten Menschen mit Impulskontrollstörungen üben ihr Verhalten nicht rund um die Uhr aus, sondern in bestimmten Situationen, z.B. unter Stress, während des Lesens, bei der Beantwortung von E-Mails oder abends unter der Bettdecke. Oft gibt es auch bestimmte Tageszeiten, zu denen das Verhalten vermehrt auftritt.

In den ersten Tagen sollten Sie Ihr Verhalten daher sorgfältig protokollieren. Sie können auch Vertrauenspersonen fragen, wann Sie an Ihren Nägeln kauen, die Haare ausreißen, an Ihrer Haut pulen oder andere Verhaltensweisen ausführen, die Sie sich jetzt abgewöhnen wollen. Erstellen Sie hierfür eine Tabelle, die wie folgt aussehen kann (Beispiel für das Skin Picking):

Ort/ ZeitTätigkeitGefühlEffekt
Schreibtisch/ 15:00 UhrE-Mails checken unter Zeitdruckgestresstmehr Hautberührungen
Büro/
17:30 Uhr
Telefonat mit der Muttergenervtverstärktes Reiben bestimmter Hautstellen
Wohnzimmer, abendsFernsehen allein auf Sofagelangweiltstärkeres Pulen bei Langeweile oder weil ich mich alleine fühle

Tragen Sie die Situationen mit Uhrzeit in die Tabelle ein. Notieren Sie auch, welches Problemverhalten Sie ausgeübt haben. Greifen Sie noch nicht aktiv in den Ablauf Ihres Verhaltens ein. Beobachten Sie sich möglichst neutral.